Mittwoch, 21. Februar 2018

Rundum-Aufhol-Tagebucheintrag: Was der Kauf einer Zahnbürste mit Sinnkrisen zu tun hat



Liebes Tagebuch,

ich muss das dringend ändern. Öfters mal Kleinigkeiten schreiben und nicht immer warten, bis ganze Romane darauf warten, verfasst zu werden.

Das Leben ist manchmal chaotisch, die Ereignisse und die Nicht-Ereignisse reichen sich die Klinke und was geschrieben wird muss ja auch erstmal vorverdaut und sortiert werden. 

So kommt es, dass heute die Herausforderung darin besteht, das Chaos in strukturierter Form für die Nachwelt festzuhalten... 

Nach zwei Pflegehunderfahrungen hatten wir groß verkündet, nun erstmal eine Pause zu machen. Nach wie vor stehe ich voll dahinter, Fellnase um Fellnase zu retten und bin auch stolz darauf, zu sehen, wie toll sich diese Seelchen entwickeln. Und dennoch ist das Ganze immer mehr Aufwand und Krafteinsatz, als ich vorher gedacht hätte. Ganz zu schweigen vom Trennungsherzschmerz, unter dem wir nach Lilith wirklich arg litten.

Doch dann kam erneut ein Hilferuf. Ein Hundemädchen hätte die Möglichkeit mit einem Flugpaten nach Deutschland zu kommen und es gab einfach keine Pflegestelle. Wir sagten also wieder "Ja". Sie sollte ausgerechnet mitten in der Nacht von einem meiner langen Schulungswochenenden kommen. Also kam sie bis zum nächsten Tag anderweitig unter und Mr. Wonderer holte sie dann ab, während ich in der Schule saß.

Darf ich vorstellen: Navidad, 8 Monate alt:


Superdünn, bildhübsch, ...


... und die geborene Chaos-Queen:

(5 Minuten allein)

(einen Einkauf lang allein)



(Selfie-Versuche mit Madame Pfeffer-im-Hintern)


Ich glaube, die Bilder sprechen für sich und zeigen, wie viel Action wir hier in der Bude haben, mit diesem fast-noch-Welpen. Ein herzensgutes Hundekind mit altersentsprechendem Schalk im Nacken.

Gleich nach einer Woche kam schon eine interessierte Familie vorbei, doch die entschieden sich dann dagegen, Navidad zu adoptieren. Nun - nach vier Wochen - ist es aber so weit. Eine zweite Familie war hier und man sah gleich, dass da der Funke übersprang. In jede Richtung. Am kommenden Samstag zieht sie nun um. Ich freu mich riesig für sie, denn man hört schon am Telefon, wie glücklich die Leute aus Hessen sind, die sich nun ihrer annehmen. 

Bei den Kindern gibt es nicht viel Neues. Mika übt weiter fleißig mit seinen Speed Stacks und ich bin echt fasziniert, wie gut er das macht. Meins ist das ja nicht - Schnelligkeit und Feinmotorik - nääää. Auch seinen Cajon-Kurs hat er nun abgeschlossen und sich von Erspartem und Zeugnisgeld auch ein eigenes zugelegt.

 

Jana und Mika haben nun auch beide ihren Kieferorthopäden-Termin hinter sich. Das Ergebnis: Bei Mika muss ein Zahn gezogen werden (der allererste "Eingriff" überhaupt, bei ihm) und alle beide sollen nach den Sommerferien nochmal kommen. Jana wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine Zahnspange bekommen, was sie aktuell echt klasse findet, bei Mika ist es noch nicht ganz klar, da gilt es abzuwarten, wohin die Zähne sich nach der Extraktion dann verschieben.

Ich selbst hab nun Teil 1 von 4 meiner Abschluss-Prüfungen hinter mich gebracht: Die wissenschaftliche Hausarbeit, die ich schreiben musste bekam ich auf den letzten Drücker fertig und konnte sie abgeben. Nun stehen noch eine Präsentation, eine schriftliche und eine praktische Prüfung aus, bis ich mich damit rühmen darf, Ernährungsberaterin zu sein. 

Soweit die Neuigkeiten aus dem Wondererschen Familienalltag. 

Nun also zum Fragezeichen-Sinnkrisen-Zahnbürsten-Teil dieses Eintrages - die Auswandererpläne. Meine Motivation darüber zu schreiben hält sich in Grenzen, da ich ungern öffentlich jammere und heule. Aber da ich nun letztes Mal damit angefangen habe, unsere "Pläne" offenzulegen, muss ich nun natürlich auch weiter machen und über deren Entwicklung schreiben.

Ursprünglich sollte der nächste Blog-Beitrag entweder ein
- "Yeah - endlich hats geklappt" 
oder ein
- "Und weiter gehts mit Plan D, E, F"
Titel sein.

Doch D und E wurden schon angegangen, sodass mein Auswanderungs-Update nun "Ich hab mir ne neue Zahnbürste gekauft" heißen muss.

Aber von vorne:

Auch wenn ich kein Geheimnis aus unserer Sehnsucht nach dem Nordamerikanischen Kontinent mache, so habe ich dennoch nur halb so viel davon hier rumgejammert, als ich gerne getan hätte. Die Plan-Offenlegung habe ich nur durchgezogen, weil nun wirklich, endlich und wahrlich alles zum Greifen nah war. Und diese optimistische Vorfreude wollte ich unbedingt festhalten, zum seeligen Rückblicken, wenn wir später mal die Vergangenheit in Deutschland Revue passieren lassen ... Man liests schon raus, gell? 

Plan A also, ist ja bekanntlich nicht aufgegangen. Davon habe ich bereits erzählt. Das war wirklich schmerzlich, denn er kostete uns ein ganzes Jahr der berechtigten Hoffnung.

Doch, dass er nicht aufging, machte dann Sinn, als plötzlich diese Möglichkeit des neuen Arbeitgebers förmlich in unser Leben hüpfte. Ob Karma, der liebe Gott, das Schicksal - whatever - wir meinten, dass nun alles Warten, Bangen, Beantragen, .... , endlich aufging und wir erkennen würden, wofür's gut war und dass es eben einen Sinn ergibt.

Määäääääk. Nope. Die Firma hat/hatte aufrichtiges Interesse (keine Bewerber-Ablehn-Floskel, sondern ernsthaft) an der Einstellung und Entsendung von Mr. Wonderer. Aaaaaaber: der Platz dort wird nun doch nicht frei. Der bislang Entsendete hat nun um zwei Jahre verlängert. 

Ganz ehrlich: Ich mag nimmer. Wir machen jetzt schon jahrelang rum und - Karma, der liebe Gott, das Schicksal - whatever - irgendwie soll es echt nicht so sein. Es ist so endlos kräftezehrend, einfach nie weiter zu kommen. Und - um jetzt mal doch in die Herzschmerz-Jammer-Kiste zu greifen - es fühlt sich echt nach Machtlosigkeit an. Wohlwissend, dass wir uns glücklich schätzen können, sicher, frei, gesund und verhältnismäßig wohlhabend unser Leben zu leben - ganz offensichtlich bleibt es uns verwehrt, dies an einem Ort zu tun, für den wir uns aktiv entscheiden.  Und im ewigen Kampf und Bemühen bleibt das Gegenwartsleben immer auf der Strecke. Denn man hält alles zurück - "für den Fall, dass wir bald umziehen".

So - Herzschmerz aus - weiter mit den Fakten.

Wir hatten ja ordentlich schwäbisch-strukturiert unsere Plan-Liste, an die wir uns nun nach diesen zwei herben Rückschlägen innerhalb weniger Tage, klammerten.

Endlich professionelle Hilfe ins Haus holen wollten wir. Sowohl für die USA, als auch für Kanada hatten wir empfohlene Auswanderungsanwälte recherchiert, an die wir uns nun wenden wollten. Klar, wir lesen schon lange vieles nach über Visum, Greencard, PM, Entsendung... Doch nun wollten wir endlich ganz konkrete und vor allen Dingen professionelle Auskünfte und Unterstützung.

Also kontaktierten wir eine im Netz wärmstens empfohlene Anwältin in den USA. Gebürtig in Deutschland, praktizierend in Florida. Wir schrieben ihr unser Anliegen, erzählten unsere Hintergründe und fragten nach ihrem Honorar und ihrer Einschätzung unserer Möglichkeiten.

Und erhielten eine Mail, dass sie krank sei und wir alles nochmal eine Woche später schicken sollten, dann könnten wir auch einen Telefontermin vereinbaren. Hmmh, okay. Nach einer Woche sendeten wir ihr erneut alles zu. 

Lange Geschichte kurz: Sie sagte, es käme nur ein Investorenvisum in Frage, fragte nach unserem Budget für ein Investment, belächelte dieses und hatte auch an einem Telefontermin kein großes Interesse mehr. 

Nächster Schritt: Anwältin in Kanada. 

Auch hier eine Empfehlung und ich muss sagen, dass diese auch wesentlich freundlicher war, als ihre US-amerikanische Kollegin. Allerdings möchte diese für ein Ersttelefonat zunächst ihr Honorar von 500 Dollar überweisen haben. Wir verschoben das Telefonat und müssen nun erstmal schauen, dass wir uns konkrete Fragen zusammenstellen, deren Beantwortung uns ohne Anwalt nicht möglich ist, damit diese Investition Sinn macht.

Unser Dilemma ist das folgende: Wir sind keine Millionäre. Deshalb sind wir keineswegs naiv und denken, wir könnten mit 2000 Euro im Gepäck ins Wunderland ziehen und dort in rosa Zuckerwatte gepackt ein glückliches Leben führen. 

Doch es erscheint uns tatsächlich so, dass wir als Mittelstands-Familie, deren Vater weder Informatiker, noch Trucker oder Handwerker ist, echt chancenlos da stehen. 

Solange keine Firma ihn "will" und wir nicht im Lotto gewinnen sieht es echt düster aus. Selbst die Risiko-Variante - ohne Job nach Kanada (sofern überhaupt WP-mäßig möglich) ist uns ne Nummer zu groß, da die Branche, in der mein Mann arbeitet einfach nur punktuell vertreten ist.

Ich persönlich merke, dass das ewige Hoffen und Bangen und Enttäuscht-werden ein wahnsinnig großer Lebensfreude- und Energieräuber für mich sind und hab nun beschlossen, hier das Beste aus dem zu machen, was möglich ist. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mich komplett vom Traum verabschiedet habe - das ginge gar nicht, dafür ist das Thema schon zu lange zu präsent in unseren 4 Wänden. 

Aber ich kann nicht länger geistig und seelisch nur aufs Auswandern fixiert - besessen? - sein, und hier nur vor mich hin funktionieren.

Also habe ich mir eine Zahnbürste gekauft. Nee, klar - ich habe schon länger ein, hehe, aber nun steht ein neues, elektrisches Prachtexemplar in meinem Badezimmer. Die vorherige war alt und ich wollte nie neue elektrische Geräte anschaffen, "weil wir eh bald wegziehen" und als gute Schwabenfrau lohnt das ja dann nicht, wenns doch dort andere Steckdosen hat.

Und nicht nur die Zahnbürste steht sinnbildlich für mein aktives Zuwenden zum "Deutschland-Leben": Auch im Fitness-Studio schloss ich nun einen 18-Monatsvertrag ab...




... und auch der Handyvertrag wurde nun verlängert.

Meine Arbeitsstelle habe ich zum Sommer hin gekündigt - nicht spontan und unüberlegt, sondern hinsichtlich der Tatsache, dass dies schon lange meine Absicht war und ich immer nur noch blieb, "weil wir ja eh bald wegziehen".

 Achtung - jetzt erreicht mein Jammern das höchste Niveau: Zum Seelenschmerz-Streicheln haben wir auch unseren Sommerurlaub gebucht.  Auch wenn der Kontinent uns "nicht haben zu wollen scheint" - im August kommt er um einen Wonderer-Besuch nicht herum...






Ich habe mich über die Kommentare zu meinem letzten Blog-Eintrag sehr gefreut - und vor allem über all die gedrückten Daumen aus den verschiedensten Ländern! Vielen Dank dafür!

So, liebes Tagebuch, somit beende ich meinen heutigen Roman. Wohlwissend, dass er Jammertöne beinhaltet und undankbar klingen mag. Ich glaube, dass meine Sinnkrisen nicht leicht nachvollziehbar sind, doch wo soll ich sie abladen, wenn nicht hier...