Mittwoch, 10. April 2019

... und dann denkt man, es geht nix mehr ...



Achtung - ganz viel Psycho-Gedöns, Seelenstriptease mit extrem viel Text, Tagebuchmodus:

Es geht nun schon fast ein Jahr lang so, dass ich immer wieder das Gefühl habe, dass es bei uns drunter und drüber geht.

Beruflich wurde ich mehr und mehr eingespannt, die Kinder und ihre Ansprüche änderten sich, der Schuldruck nahm zu.

Nein, ich jammere nicht. Ich weiß, dass wir uns glücklich schätzen können, für all das, was wir haben. Es gibt Alleinerziehende, es gibt Mütter die Vollzeit arbeiten (oder arbeiten müssen), Schicksalsschläge, ... All das weiß ich. Doch ich kann nur von mir sprechen.

Abschalten ist so gar nicht mein Talent. Ich nehme mit nach Hause, was ich im Job erlebe. Zerbreche mir nachts den Kopf und morgens auch. Bin körperlich anwesend, geistig oft komplett übermüdet und doch so ruhelos, dass Schlafstörungen mein Alltag sind.

Doch ich möchte trotzdem immer weiter machen. Denn ich möchte nicht scheitern. Und auch nicht "überfordert" erscheinen oder zu schwach. Und außerdem scheint ja alles gut zu klappen. Die Kinder kommen klar, beruflich habe ich Erfolge erreicht, die an diesem Standort, den ich übernommen hatte schon sehr lange nicht mehr da waren, ... Also weitermachen - so lange ich die einzige bin, die "leidet".

Wenn das zu rührselig klingt, hier die Zahlen:
Im Mai 2018 fing ich an, als Teil eines Dreierteams. Mit Vormittagseinsätzen und ein bis zwei Nachmittagen, die Verantwortung auf drei Paar Schultern verteilt.
Jetzt -  April 2019 sind wir zu zweit, ich bin komplett für den Teil der Firma, der nachmittags stattfindet verantwortlich, die Überstunden belaufen sich auf aktuell ca. 60.
Die Kollegin (die ich sehr gern mag - doch in diesem Absatz geht es um Zahlen ;-) ) hat den vormittäglichen Verantwortungsbereich (Erwachsenenbildung) inne. Ich bin dafür ihre Vertretung.
Wann immer sie nicht da ist, bedeutet das für mich Vollzeit.
Sie brachte Resturlaub mit und bekam eine Kur genehmigt. Somit fällt sie jeden Monat mindestens eine Woche weg - jetzt, beginnend in den Osterferien gleich für drei Wochen.

Mein Mann war bereits 2 Wochen abwesend (ich erzählte), im Mai fliegt er wieder in die USA.

Aber ööööörgendwie schaff ich das alles, dachte ich. Den meisten Stress mach ich mir ja nur in meinem Kopf, nä...

Doch dann kam er - der Tag, an dem klar wurde, dass nicht nur mir alles zuviel geworden ist.

Es war pädagogischer Tag an Mikas Schule. Damit er nicht ganztägig alleine daheim sitzt (Kollegin im Urlaub - also Vollzeit), nahm ich ihn mit ins Büro. Der Plan war, dass er vormittags lernt, wir mittags gemeinsam essen gehen und er dann mit der Stadtbahn nach Hause fährt.

Ich hatte gerade das Büro voller Menschen zur Beratung, da brummte mein Handy hartnäckig. Im Blickwinkel sah ich, dass die Nummer aus der Gegend unseres Wohnortes sein musste. Als der Anrufer nie aufgeben wollte, schob ich das Gerät zu Mika und bat ihn ranzugehen, zu fragen, wer es ist und um Geduld zu bitten, ich würde zurückrufen.

Das tat er brav - kam dann zurück und sagte, dass es eine der Lehrerinnen von Jana gewesen sei. Ich solle zurückrufen.

Ach du Schreck! Gefühlte Stunden dauerte es, bis ich alle herauskomplimentiert hatte, damit ich in der Schule anrufen konnte. Belegt... Mein Handy brummte wieder: Eine Nachricht von meinem Mann, dass ich ihn anrufen soll. Mir wurde ganz schlecht. Nein - er sollte warten, ich versuchte es direkt nochmal in der Schule.

Dann erwischte ich die Sozialarbeiterin dort. Jana hätte sich "geöffnet" und es gibt Redebedarf. Sie hätte bitterlich geweint. Zuerst wollte ich jedoch wissen, was passiert war und ob es ihr sonst gut gehe? Erst druckste sie herum, doch dann, als sie merkte, dass ich nicht locker ließ, verriet sie, dass Jana meine Unterschrift gefälscht hatte und dabei erwischt worden war. Sie haben auch schon meinen Mann angerufen, der um 12:30 Uhr zum Gespräch kommen würde. Jana bestünde jedoch darauf, dass ICH kommen soll. Ich erklärte, dass wir beide kommen, denn der Papa gehört dazu. ;-)

Ich schnappte mir Mika, pfiff auf das unbesetzte Büro und wir fuhren zur Schule, wo auch der "gefürchtete" Papa schon wartete.

Im Büro der Sozialarbeiterin warteten wir gemeinsam auf Jana, die sofort wieder in Tränen ausbrach, als sie uns sah. Die Mathelehrerin, die sie erwischt hatte und die Klassenlehrerin kamen auch dazu.

Wir sind absolut nicht der Typ Eltern, vor dem man sich fürchten muss. Und schon dreimal nicht wegen schlechter Noten. Never, und das wissen die Kinder eigentlich auch.

Nun kam jedoch heraus, dass Jana schulisch extrem abgestürzt war. Und wir bzw. ich hatte es nicht bemerkt. Mathe und Deutsch waren nun so schlecht, dass ihr nahegelegt wird, ins Hauptschulniveau zu wechseln (sie kam mit sehr guter Realschulempfehlung). Sie lernte zuhause nie, wie versprochen, wenn ich nicht da war - zumindest nicht so, dass es funktionierte. Versumpfte, guckte Youtube-Videos, schrieb schlechte Noten, zeigte sie nicht, bekam Druck in der Schule, weil die Unterschriften fehlten und verstrickte sich in dieses Chaos so sehr, dass letztlich meine Unterschrift auf der Mathearbeit fälschte. 

Es ist nicht so, dass ich mich überhaupt nicht mehr um Janas Schulbelange gekümmert hatte. Im Nachhinein betrachtet muss ich jedoch zugeben, dass ich, wenn ich abends um halb acht mein Kind nach dem Sport (ihr Sport - ich treibe schon länger keinen mehr) endlich bei mir hatte und dann fragte, ob alles klar wäre, ihr dankbar war für ein "Ja" und nicht so sehr nachgehakt habe, wie es bei ihr nötig gewesen wäre. Keine bewusste Entscheidung, einfach eine Überschätzung, denn Jana tickt einfach anders, als ihr Bruder und ist, auch wenn sie anders aussieht, dennoch "nur" eine Elfjährige.

Die Lehrerinnen konnten sogar einen Zeitraum benennen, indem sie Veränderungen bei Jana festgestellt hatten. Das war der, der chaotischen "Mann-weg-Sohn-weg-Vollzeitjob-Hüüülfe-Phase". In der ich gedacht hatte, dass es nur mir zuviel war. Offensichtlich war es auch dem Mädchen zu viel.

Wir redeten, umarmten, lasen, klärten und dann ging die erleichterte Jana wieder in ihre Klasse, Mr. Wonderer ins Büro, Mika nach Hause und auch wieder zur Arbeit.

Und dann kam ein Moment, in dem ich dachte, dass jetzt einfach gar nix mehr geht.

Ich saß an meinem Schreibtisch und begann alles "pixelig" zu sehen. Und auch mein ganzer Körper "bitzelte" - es war komplett beängstigend. Körper, Geist, Seele - ich konnte nicht mehr. Nicht mehr denken, nicht mehr entscheiden...

Am Tag zuvor hatte ich ein Vorstellungsgespräch gehabt bei einer super Firma. Die Stelle war wie für mich gemacht. Mein Fachbereich, meine Kenntnisse, fast surreal perfekt.

Genau jetzt, an diesem Tag, kam die e-Mail: Sie finden mich toll, sie möchten mich haben und zwar gleich zum 1. Mai.

Das bedeutete, dass ich direkt nach dem anstehenden Wochenende hätte kündigen müssen (Es war Donnerstag).

Frohe Botschaft? Schicksal? Keine Ahnung - aber auch das war gerade einfach zu viel. 

Von Donnerstag bis Montag früh heulte ich und dreht mich im Kreis.

Meine Kinder sind in der Prioritätenliste definitiv ganz klar und unumstößlich auf Platz 1. Was das betrifft, so hatte ich als Mutter, für mein Gefühl, wirklich auf ganzer Linie versagt. Wenn meine Tochter sich Konstrukte aufbauen und "Fremden" erzählen muss, dass Mama abends keine Zeit mehr für sie und ihre Klassenarbeiten hat, ...

Der neue Job wäre an "nur noch" 3 Nachmittagen in der Woche. Was meine Abwesenheit von zuhause betrifft, eine kleine Verbesserung. Auch eine finanzielle.
Aber die Vorstellung JETZT wieder ganz von vorne anzufangen - ich fühlte mich hilflos.

Die Alternative - weiter, wie bisher? Das ging nicht. Und dennoch tat's weh, denn abgesehen von den Arbeitszeiten und Dauervertretungssituationen, liebe ich das, was ich da tue. Habe dort viel erreicht, Kinder, Eltern, Mitarbeiter - ich erfahre Wertschätzung und bin gut, in dem, was ich tue.

Wie gesagt - von Donnerstag bis Montag brauchte ich, um eine Entscheidung zu treffen. An Schlaf war mal wieder nicht zu denken...

Dann aber tat ich es: Ich sagte dem neuen Arbeitgeber ab und kündigte meinen Job.

Mr. Wonderer stand komplett hinter mir und mir war absolut bewusst, dass das extreme Einschränkungen unseres "Luxuslebens" bedeutete. Ganz besonders dramatisch, da wir gerade auch schon den Sommerurlaub gebucht hatten.

Aber es erschien als der einzig richtige Weg. Wie beim Kniffel: Alle Würfel zurück in den Becher. Erstmal wieder mein Kind auf Spur bringen. Mama für die beiden sein. Darauf vertrauen, dass alles andere sich schon irgendwie fügt.

Ich drückte auf "Senden" der Vorab-Mail an meine Chefin, schnappte Annie, meine Sonnenbrille und ging raus - Gassi. Traurig war ich. Aber irgendwie auch nicht. Aufgewühlt. Und doch auch komplett ruhig. 

Zurück zuhause hatte ich einen vergeblichen Anruf auf dem Handy und eine Nachricht von der Chefin, ob wir telefonieren können. Können wir - in 10 Minuten.

Das Telefon klingelte. Ich dachte, es wäre sie. Doch es war eine weitere Firma, die mich zum Vorstellungsgespräch einladen wollte. Es war doch alles komplett verrückt...

Danach die Chefin: Ob meine Kündigung wirklich familiäre Gründe hätte? Ich erzählte ihr alles. Und stieß auf grenzenloses Verständnis. Wow! Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie sagte, sie bäte mich um Geduld und würde sich nun sämtliche verfügbaren Beine ausreißen, um mir zu ermöglichen, nur noch 2 Nachmittage die Woche kommen zu müssen.

Ich war fassungslos.

Was sich dann in der letzten Woche noch ergab war folgendes:
Meine Kollegin erklärte sich bereit, mehrere Nachmittage zu übernehmen.
Wir teilen nun beide Fachbereiche quasi durch zwei, sodass wir im Wochenwechsel mal 2, mal 3 Nachmittage da sein müssen. Die 3 Nachmittagswoche habe ich immer nur dann, wenn mein Mann Frühschicht hat und somit jeden Nachmittag zuhause ist. In der anderen Woche bedeutet das für Jana nur Di und Do jeweils 1 Stunde alleine zu sein, bis ich komme.

Die Vormittage laufen unabhängig davon - die sind ja auch problemlos machbar für mich.

In den Abwesenheiten der Kollegin werde ich nun von der Chefin und einer lieben Leitung eines anderen Standortes unterstützt.

Nie im Leben hätte ich gedacht, dass das so möglich sein würde. Und im Traum hätte ich das nie so eingefordert. 

Diese Art der Wertschätzung macht mich komplett sprachlos.

Die Firma mit dem "neuen" Job gab unterdessen auch nicht auf. Auch sie schrieben mir nochmal und erklärten sich bereit, mir entgegenzukommen.

Ich bleibe jetzt aber da, wo ich bin. Und darüber bin ich erleichtert. In der Theorie müsste das jetzt super laufen - ich hoffe, dass die Umsetzung auch so gut funktioniert. 

Jana ist (Stand gestern, Elternabend) auch wieder "ein ganz anderes Mädchen". Wir lernen jetzt jeden Tag 20 Minuten extra und die nächste Mathe-Arbeit darf sie auf Hauptschulniveau schreiben. Lernen soll sie aber - so haben wir das entschieden - weiterhin auf Realschulniveau.

So, nun hab ich ihn verbalisiert, den großen Brocken, der mir aufs Herz und dann wieder hinunter geplumpst ist. 

Ich schätze, dass es der inflationär gebrauchte Begriff "Burnout" ist, der am Nähesten an das herankommt, was hier vor sich ging.

Belastung ist etwas Subjektives, denke ich. Und auch, wenn man das nicht möchte, irgendwann knickt man ein - auch wenn andere das vielleicht nicht täten und zu viel mehr fähig wären. 

Und so ging es meiner Tochter und mir. 

Doch jetzt gehts bergauf... Ganz sicher. Wir haben neu gewürfelt. Und die Prioritäten wieder gerade gerückt. Und auch, wenn er hier gerade wenig Erwähnung findet: Mein Mann ist der beste. Egal wie ich handle oder entscheide - er unterstützt mich dabei. Nicht nur in seiner "Versorgerrolle", sondern auch seelisch.

Uff.

4 Kommentare:

  1. Wow, was soll ich sagen... Ich finde es einfach stark von dir, dass du hier so offen über den Stress / Probleme sprichst, die sich durch den vollen Terminplan bei euch allen ergeben haben. Die arme Jana tut mir echt leid, was muss sie doch gelitten haben. Da fühlt mein Mama-Herz im Nachhinein nochmals tief mit.

    Und ja, ich verstehe das voll, wie du sagst, dass man als Mama abends müde fragt, ob alles okay war in der Schule und man einfach erleichtert das "Ja" hinnimmt. Das ist alles so menschlich, wie du und Jana reagiert habt. Ich würde mal raten, dass sich bei dir wirklich ein "echtes" Burnout anbahnte. Da hast du gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen.

    Ich finde es super klasse, wie sich jetzt alles für euch geregelt hat. Voll nachvollziehbar, dass du gekündigt hattest! Und was für ein Kompliment, dass dir deine Chefin hinterher telefoniert hat und ihr dann gemeinsam diese Lösung gefunden habt. Das zeigt, wie gut sie dich finden und dich nicht verlieren wollten. Da kannst du sehr stolz drauf sein.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Hedda!

      Vielen Dank für deine lieben Worte und auch für dein Verständnis.
      Sie hat tatsächlich gelitten. Nicht in dem Sinn, dass sie traurig zuhause saß und mich vermisste. Aber indem sie sich in diese Situation brachte, was ihr nur möglich war, weil ich nicht mehr DAS Auge darauf hatte.

      Gestern kam der erste Mathe-Test seit "Notbremse" zurück. 8 von 10 Punkten. Jippieh - es wird! :-)

      Liebe Grüße!

      Löschen
  2. Tja, da hat Hedda schon gesagt, was man sagen kann! Jedes Kind ist eben anders und das herauszufinden ist nicht immer einfach. Ich habe auch zwei so ganz Verschiedene...
    Ein tolles Kompliment, wenn die Firma so hinter Dir steht✌️ Zeigt aber auch, daß man deutlich sagen muß, wenn es zu viel ist, sonst kann einem nicht geholfen werden! So scheint bei Euch jetzt wieder die Sonne, so soll es sein! 🌼🌻🌷 😊

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jawoll, jetzt darf die Sonne gerne wieder scheinen. :-)
      Du hast völlig recht - wenn man nix sagt, kann sich nix ändern. Dieser "Knall" hat wohl einfach kommen müssen, damit ich das lerne.

      Löschen