Mittwoch, 10. Mai 2017

... und sie soll "krank" sein ...



Eines vorweg: Ich weiß, dass Demenz kein Zuckerschlecken ist und viele pflegende Menschen irrsinnig viel Kraft aufbringen müssen. Alles, was nun folgt, ist rein auf mein persönliches Erleben mit meiner Oma bezogen - keinesfalls verallgemeinernd oder herunterspielend gemeint!

Meine Oma hat Demenz. Sie ist jetzt fast 87 Jahre alt. Seit etwas mehr als einem Jahr lebt sie im Pflegeheim. Jede Woche habe ich meinen festen "Oma-Tag", an dem ich sie vormittags besuche und mit ihr im naheliegenden Park spazieren gehe.

Natürlich war Oma nicht immer dement. Sie spielte schon immer eine große Rolle in meinem Leben. Meine Mutter war sehr jung als sie mich bekam und zunächst auch alleinerziehend. Soweit ich weiß verbrachte ich jedes Wochenende bei Oma bis ich fünf Jahre alt war und einen Stief- später Adoptiv-Vater bekam.

Auch im Teenie-Alter war ich regelmäßig dort, vor allem dienstags und donnerstags in der Mittagspause vor dem Nachmittagsunterricht.

Als Oma immer zerstreuter wurde, reagierte ich zunächst wütend. Es war einfach so schwer zu begreifen. Irgendwann jedoch musste ich mir eingestehen, dass die Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Und dann kam der Punkt, an dem ich aufhörte, sie ernst zu nehmen. Ich nahm mir nicht mehr zu Herzen, wenn sie den Namen meiner Kinder nicht mehr wusste oder vergessen hatte, dass wir am Vortag telefoniert hatten. 

Mit dem Tag, an dem ich mir eingestehen musste, dass es "die" Oma nicht mehr gibt, konnte ich annehmen, dass ich nun eben an der Reihe war, zu geben. Es gibt einen Spruch, der mir auch in den sozialen Medien oft begegnet: "Hauptsache ICH weiß noch, wer sie ist." Und der könnte wahrer kaum sein.

Was wie "Pflicht" oder "Anstand" klingt, ist allerdings mittlerweile sogar eine Kraftquelle für mich geworden. Der wöchentliche Oma-Tag. Wenn ich in die Stadt fahre und sie in ihrem Heim besuche - und dann sehe wie ihre Augen leuchten, sobald sie mich sieht. Sie mag meinen Namen nicht mehr kennen - doch ihr Herz erkennt mich. Sie spürt meine Liebe.

Und wenn wir dann raus gehen in den Park, und ich sehe, wie sie vor Freude beginnt zu weinen, weil sie ein süßes Baby im Kinderwagen einer Spaziergängerin anhimmeln darf, wie sie sich unbändig über Gänseblümchen auf der Wiese freut, dann wird mir klar, wieviel "gesünder" sie, die Demenzkranke ist. Sie weiß nichts von gestern und sie denkt nicht an morgen. Sie spürt einfach die Liebe, die man ihr entgegenbringt und sie geht auf in all der subtilen Schönheit, die unser direktes Umfeld inne hat.

Ich bin die "Gesunde" von uns beiden. Und latsche regelmäßig auf mein Handy starrend durch die Natur, bedaure mich für Vergangenes und hadere mit der Zukunft. Sie ist die "Kranke", die auch für "Unkraut" stehen bleibt, weil es so herrlich gelb leuchtet.

Gemeinsam albern wir, singen in der Öffentlichkeit und lachen über uns selbst - die Fröhlichkeit und der Moment sind alles was zählt. Und das fühlt sich so gesund an...

Still wondering...

4 Kommentare:

  1. Da dachte ich posten in Bloggergruppen bringt nix und dann lese ich nur schnell drüber und finde diesen Post - wow!!!
    Wundere dich bitte nicht, wenn du plötzlich ein paar mehr Leser bekommst, ich teile es jetzt auf der fb-Seite von Jolinas Welt, denn es berührt mich total.
    LG
    Martina

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    1. Hallo Martina!
      Ich habe deine Worte in facebook gelesen - und jetzt bin ich die, die schniefen muss.
      Vielen Dank. <3

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  2. Schön geschrieben! Sei froh, dass Du es erkennen konntest, dass Du sie einfach so nimmst, wie sie ist. Ich habe dadurch, dass ich allein dastehe (also mit diesem Thema), dass meine Oma dement ist, und niemand aus der großen Familie das ebenfalls so sieht/sehen möchte, den Kontakt zu ihr verloren.

    Als ich in einer MuKi-Kur war, hat mir die Psychotherapeutin dort einen weisen Tipp gegeben: Pack Dir die Oma so ein, wie sie mal war, wie Du sie in Erinnerung behalten möchtest und mach es in eine Schatztruhe/Kiste. Und wenn es nur die Kiste im Kopf ist.

    Nur ein kleiner Tipp, wenn das Tolle mit dem Oma-Tag irgendwann mal nicht mehr ist. Ich wünsch Dir alles Gute!

    LG Ivi

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    1. Hallo Ivi!
      Das ist schade, mit deiner Oma. Ich habe zu meiner anderen (väterlicherseits) auch keinen Kontakt mehr gehabt, zum Ende ihres Lebens hin.
      Der Rat ist gut. Ich vermisse sie heute schon - DIE Oma, die sie mal war. Nun versuche ich das beste aus unserer gemeinsamen Zeit herauszuholen mit DER Oma, die sie jetzt ist.
      Hach...
      Liebe Grüße!

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